Geglaubte und gelebte Religiosität
Reise mit dem Pastoralkolleg nach Peru
Die Oldenburger Pastorenehepaare Fendler und Fasse hatten eingeladen zu einer Reise des Pastoralkollegs Niedersachsen nach Peru. Die Oldenburger Gefängnisseelsorgerin Angelika Menz und ich sowie 15 weitere Pastorinnen und Pastoren aus dem Hannoverschen und Braunschweigischen durften mit! Beide Ehepaare hatten nacheinander sechs Jahre lang die Pfarrstelle an der Christuskirche in Lima, der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde. Fendlers sind schon zwanzig Jahre zurück und Fasses sieben Jahre. So haben wir uns mit diesen vier „Insidern“ zehn Tage lang auf den Weg gemacht durch das lateinamerikanische Land.
Eine atemberaubende Natur in der Wüste (an der Küste!). Der Pazifik. Die hohen Berge der Anden. Wir hören von Hochkulturen, die dort schon vor dem Inkareich gelebt haben und bestaunen im Museum deren Grabbeigaben und Kunstwerke. Wir erahnen deren Religiosität.
An der Christuskirche in Lima steht mit großen Lettern das Jesuswort: „Kommt her zu mir alle“. So einfach ist das nicht. Wir passieren zuerst ein Tor mit Sicherheitsdienst. Das Kirchengelände ist umgeben von einer hohen Mauer. Die Gemeindemitglieder erzählen uns von früheren Erfahrungen von terroristischen Übergriffen. Sie berichten von der schrecklichen Pandemiezeit: Kaum eine Familie, die nicht einen toten Menschen zu beklagen hat. Wir hören, wie gebeutelt Peru und seine Menschen von der Korruption im Land sind. Und tatsächlich, es gibt in Lima eigens ein Gefängnis, in dem ausschließlich ehemalige Staatspräsidenten einsitzen.
Wirtschaftlich greift China kräftig nach den Bodenschätzen Perus. Kurze, eindrückliche Schlaglichter bekommen wir mit. Und wir feiern miteinander den evangelischen Sonntagsgottes- dienst, der auch in die ganze Welt gestreamt wird. Im Hotel treffen wir auf Adrian Oelschlegel, der uns von der Arbeit von „Brot für die Welt“ in Peru berichtet (gegen alle Unkenrufe: Spenden von „Brot für die Welt“ kommen da an, wofür sie gespendet wurden!). Von Arequipa (2800 m hoch gelegen) aus fahren wir zu dem Marienwallfahrtsort Chapi. Wir bekommen eine Ahnung davon, wie die Gottesmutter Maria in dem durch und durch katholischen Land auch ein wenig als „Mutter der Erde/ Pachamama“ verehrt wird. Ihr trapezförmiges Gewand weist auf die Dreiheit von Erde/Meer/Berge hin. Die weißen Spitzen auf den Außenkanten ihres roten Gewandes sind der Schnee auf den Bergen, in den hohen Lüften. Und unterwegs, am Straßenrand alle paar Kilometer ein kleiner Marienschrein oder ein Christuskreuz - Brot, Blumen, Popcorn, Kerzen davor. Oben auf 4000 Meter Höhe am Titicacasee übernachten wir in Privatquartieren.
Dürfen morgens – in dünner Luft! – das Alpaka mit umstecken und auch das eine Schaf. Mit den Händen graben wir lila blühende Kartoffeln aus und säubern sie fürs Mittagessen. Und wir dürfen dem Ritus einer Naturreligion beiwohnen. Anbetung der Pachamama. Das bunte Tuch auf dem Gras ausgebreitet. Zwei Schälchen mit Wein. Kokablätter immer zu fünft zusammengelegt – wegen des Windes muss man manchmal nachordnen. Eine Schale mit rauchender Holzkohle wird unter die Gesichter von allen Beteiligten herumgereicht. Und dann lädt der Leitende ein, einen Stapel Kokablätter zu nehmen, sich auf einen Wunsch (?), ein Gebet (an wen gerichtet?) für Gesundheit, Liebe, Leben zu konzentrieren. Dann tunkt man die Blätter nacheinander in die Schälchen und legt sie in ein Papierschäch- telchen. Zum guten Schluss wird das ganze Schächtelchen mit- samt den Blättern auf einem kleinen Lagerfeuer verbrannt, und der Qualm steigt nach oben. Synkretismus nennt man das wohl. In diesem Fall eine Ver- mischung von Naturreligion und Katholizismus. Denn: Im Namen des dreieinigen Gottes wur- de die Zeremonie eröffnet. Und zwischen Blättern, Wein und Qualm wurde auch noch laut das „Ave Maria“ eingefügt.
Zurück in der Millionenstadt Lima begegnen wir der deutsch- und spanischsprechenden nationalen lutherischen Gemeinde Christo Rey. Sie hatte sich 1980 von der Christuskirche abgespalten. Bleibt aber anerkannt vom Lutherischen Weltbund. Sie kooperieren mit der deutsch-sprachigen Christuskirche als eine „Kooperation des Herzens“ bzw. „zusammen, aber nicht vermischt“.
Zu guter Letzt feiern wir den Sonntagsgottesdienst in der Deutschsprachigen Katholischen Gemeinde San Josè. Wir erfahren: Die katholische Kirche in Peru hat ein Sonderrecht, verankert im peruanischen Grundg setz. Alle anderen Kirchen werden wie NGOs (Nichtregierungsorganisation) betrachtet. Erfüllt von all diesen spannenden und bunten Begegnungen hat mein Reden - gern bei Taufen - von der „weltweiten“ christlichen Gemeinde noch mehr Bilder und noch mehr Farben bekommen. Und ich bin dankbar, dass ich auch dazugehöre.
Anne Jaborg